Sportlicher Rundumschlag: Domestizierter Glam
Nicht mehr nur im Spitzensport, sondern auch in den Niederungen der Randsportarten ist Sport zunehmend von Reichen für Reiche.
Leider lässt sich das folgende Zitat nicht mehr ganz klären. Es lautet ungefähr: Die Kunst des späten 21. Jahrhunderts wird eine Kunst von Reichen für Reiche sein. Das gilt viel mehr noch für den Sport, und vielleicht ist der Vollzug dieser Binse schon weit früher zu melden; ungefähr zeitgleich mit dem Klimawandel, also ungefähr jetzt. Und der Satz gilt längst nicht mehr nur für den Spitzensport, und da für die Sportarten, die das meiste Geld generieren – also für Fußball, Tennis, Basketball, American Football usw. –, sondern das Prinzip sickert von oben in einer pervertierten Trickle-Down-Bewegung bis in die Niederungen der Randsportarten hinein.
Es ist ja schon merkwürdig, dass sich ehemalige Fußballprofis nach ihrer Karriere selbst einen Fußballverein kaufen könnten, den sie fortan mitführen – wie beispielsweise der Ex-Bremer Fabian Ernst beim Næstved BK. Hier wird der goldene Traum vom Tellerwäscher, selbst einmal den Laden zu übernehmen, Realität: Ehemalige Angestellte eines Vereins haben dort so viel verdient, dass sie irgendwann über dem Verein selbst stehen. Noch aber schaffen es eher Schauspieler in die News, die mit walisischen Kleinvereinen dreimal hintereinander den Aufstieg feiern (AFC Wrexham); und noch sind Dickschiffe wie der FC Bayern in jedem Sinn too big to fail; aber die Zeit wird kommen. Das Kapital wartet schon.
Das alles geht mit einer weiteren Eventisierung des Sports einher. Neulich habe ich in die Liveübertragung eines Eishockey-Matches reingeschaltet und belustigt die eingeblendeten Mannschaftsaufstellungen mitverfolgt: Der Kommentator musste bis zu 40 Namen pro Mannschaft verlesen, und er verlas sie alle. Nun wird das für Eishockey-Fans längst gang und gäbe sein, so wie für Darts-Fans die Einlaufmusik der Werfer; ein Phänomen ist es dennoch. Niemand bleibt mehr in Deckung in einem Sport, der telegen ist; nicht-telegene Sportarten sterben aus oder fristen wie Sportschießen eine Randexistenz, die politisch dubios werden kann.
Die Konkurrenz ist hart: Denn Millenials pushen derweil neue Trendsportarten, die socialmedia-tauglich sind: Tennis auf zu kleinen Feldern; Surfbretter, auf denen man stehend paddelt; Squash, das auch Tennis sein will und so weiter. Auf den Retrotrend wartet man noch, aber auch er könnte bald kommen: Warum sollten nicht auch Sportarten wie Korf- oder Faustball wieder ins Rampenlicht, instafähig sind sie – und zudem, nimmt man nur Korfball, auch irgendwie woke.
Disziplin, Struktur, Selbstausbeutung
Das alles hat natürlich auch Effekte bis in die Körper der Sportlerinnen und Sportler hinein. Dass Sportler Spießer sind, ist ja nicht nur eine weitere Binse. Sie fußt auf der Tatsache, dass Erfolg im Sport des Neoliberalismus auf Disziplin, Struktur, Selbstausbeutung beruht: Wie man in der hr-Dokumentation über die blutjunge Tischtennisspielerin Josephina Neumann, mittlerweile 15 Jahre alt, sehen und hören kann, besteht das Leben eines Profis auch einer kleineren Sportart aus Acht-Stunden-Tagen von klein auf. Acht Stunden Training, was nicht nur Technik und Taktik, sondern auch mentales Training, psychologische Schulungen und so fort einschließt.
Weitere Stichworte: Internate, Sponsoring, Akademien, Lehrgänge, Werbeverträge, häufige Vereinswechsel immer Richtung oben, häufige Reisen zu Turnieren und Wettkämpfen. Das alles kostet natürlich Geld, und das wächst schließlich nicht auf Bäumen. Und es ist durchaus nicht so, dass Sportvereine alle Kosten übernehmen würden, im Gegenteil: Mir persönlich sind Eltern bekannt, die für den Traum vom Fußballprofitum ihres talentierten Sohnes bei Austria Wien tief in die eigene Tasche greifen müssen. Für Menschen aus sogenannten einfacheren Verhältnissen, für die dieses Modell lange Zeit eine Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs darstellte, wird es immer schwieriger, da noch mithalten zu können. Viele bleiben auf der Strecke; noch viel mehr schaffen es gar nicht an die Startblöcke.
Es muss also viel investiert werden, Zeit und Geld. Sponsoren suchen, das wird irgendwann nicht mehr reichen. Fallen staatliche Subventionen weg, sieht es düster aus für Land und Leute, also auch für die Sportnation Deutschland.
Zurück zum Spießigen: Alternative Lebensmodelle sind da per se unmöglich. Sportler gehen früh schlafen. Sie bleiben in ihrer Blase – oder, in Sportarten mit mehr Scheinwerferlicht, holen sich in der Außenwelt etwas Glam ab, der dann, so möglich, wieder domestiziert wird. In den Schattenbereichen kommt es zu Übertretungen, die justiziabel werden können.
Kurzum: Erquicklich ist das alles nicht. Profisport muss man wollen. Aber das reicht inzwischen nicht mehr: Man muss es wollen können, das ist wohl die Formel nicht der Zukunft, denn die hat längst begonnen. Es ist die Formel der Gegenwart.
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